Ich habe vor 50 Jahren Mandarin-Chinesisch gelernt. Ich habe neun Monate gebraucht, bis ich das Niveau erreicht habe, mit dem ich Zeitungsartikel von Englisch nach Chinesisch und von Chinesisch nach Englisch übersetzen, Romane lesen und für Leute dolmetschen konnte. Ich erreichte dies in der Zeit der Tonbandgeräte, lange vor dem Internetzeitalter, der Online-Wörterbücher, Sprachlern-Apps, MP3-Dateien und YouTube.

Wenn ich über meine Erfahrung nachdenke, kommen mir sechs Dinge in den Sinn, die mir geholfen haben, schneller Chinesisch zu lernen als die anderen Schüler, die es gleichzeitig mit mir gelernt haben. Im Folgenden liste ich jeden dieser Tipps zum Chinesisch lernen auf. Vielleicht helfen sie ja auch dir beim Lernen.

 

1. Hör so viel wie möglich Mandarin

Beschränk dich in den ersten ein/zwei Monaten nur auf das Zuhören.

Beginne damit, dich nur auf das Zuhören zu beschränken. Gewöhne dich einfach an die Töne. Du solltest das, was du liest, auch lesen. Benutze dafür ein phonetisches Schreibsystem wie Pinyin, um ein besseres Gefühl davon zu bekommen, was du hörst. Du wirst irgendwann die Zeichen lernen müssen, aber du kannst sie zunächst auslassen und stattdessen versuchen, in der Sprache eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln.

Es ist zu schwierig, die Zeichen zu lernen, wenn du überhaupt noch kein Gefühl für die Wörter hast, wie sie sich anhören oder wie sie zusammen funktionieren. Eine neue Sprache kann sich am Anfang wie ein undifferenziertes Geräusch anhören. Der erste Schritt besteht darin, sich an die einzelnen Töne der Sprache zu gewöhnen, die Wörter voneinander zu unterscheiden und sogar ein paar Wörter und Sätze in deinem Gehirn nachhallen zu lassen.

Mein erster Kontakt mit Mandarin war Chinese Dialogues, ein Text mittleren Schwierigkeitsgrads ohne Zeichen, nur mit Romanisierung, in diesem Fall die Yale-Version der Romanisierung. Heute ist Pinyin, was in China entwickelt wurde, die Standardform der Romanisierung für Mandarin. In Chinese Dialogues hat der Erzähler so schnell geredet, dass ich dachte, dass er uns foltern möchte. Aber es hat funktioniert. Nach etwa einem Monat habe ich mich an die Geschwindigkeit gewöhnt und hatte ein Gefühl für die Sprache.

Als Bemerkung am Rande, ich denke, dass es ratsam ist, mit mittelschweren Texten, die viele Vokabeln wiederholen, eine Sprache zu lernen, anstatt mit übermäßig einfachen Anfängertexten zu beginnen. Podcasts und Audiobücher eignen sich hervorragend dafür. Die mandarin-chinesischen Minigeschichten auf LingQ mit sehr vielen Wiederholungen von häufig vorkommenden Verben sind ein Beispiel der Erzählungen, die heutzutage verfügbar sind. Diese standen mir vor 50 Jahren nicht zur Verfügung.

Mit einem Gefühl für diese aufregende neue Sprache und einem gewissen Hörverständnis wuchs meine Motivation, die Zeichen zu lernen. Ich wollte die Zeichen der Wörter kennen, die ich gehört und an die ich mich gewöhnt hatte.

Mein erster Tipp lautet also, sich für die ersten ein/zwei Monate auf das Hören und auf Pinyin zu konzentrieren.

 

2. Nimm dir Zeit, um die Zeichen zu lernen

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Chinesisch zu lernen, und zwar Mandarin-Chinesisch, ist ein langfristiges Projekt. Es wird dich mit der Sprache und der Kultur von über 20 % der Weltbevölkerung sowie mit einem großen Einfluss auf die Weltgeschichte in Berührung bringen. Deswegen empfehle ich immer, die Zeichen zu lernen, wenn man Chinesisch lernen möchte.

Sobald du dich dazu entschließen solltest, die chinesischen Zeichen zu lernen, arbeite täglich daran. Steck täglich eine halbe bis eine Stunde darin, die Zeichen zu lernen. Benutz dafür irgendeine beliebige Methode, aber nimm dir jeden Tag Zeit, um Zeichen zu lernen. Warum jeden Tag? Weil du die Zeichen fast so schnell wieder vergessen wirst, wie du sie gelernt hast und du sie deswegen immer wieder lernen musst.
Du kannst Anki oder ein anderes modernes computerbasiertes Lernsystem verwenden. Ich habe mein eigenes Verteiltes Wiederholungssystem entwickelt. Ich hatte einen Stapel mit 1.000 kleinen Karteikarten aus Pappe, auf denen die 1000 häufigsten Zeichen standen. Und ich hatte kariertes Papier, um diese Zeichen zu üben. Ich legte eine Karte auf und schrieb das Zeichen in einer Spalte auf dem karierten Papier zehnmal auf. Ein paar Spalten weiter schrieb ich die Bedeutung oder die Aussprache des Zeichens auf. Dann nahm ich eine andere Karteikarte und machte das Gleiche. Schon bald stieß ich auf die Bedeutung oder den Ton des vorherigen Zeichens, das ich aufgeschrieben hatte. Dann schrieb ich das Zeichen erneut ein paar Mal aus, hoffentlich bevor ich es komplett vergessen hatte. Das habe ich für die ersten 1000 Zeichen gemacht. Danach konnte ich sie mit dem Lesen lernen. Dabei entdeckte ich neue Zeichen und schrieb sie zufällig ein paar Mal handschriftlich aus.

Je mehr man vorankommt, desto einfacher wird es, neue Zeichen zu lernen, weil sehr viele Elemente in den Zeichen wiederholt werden. Alle Zeichen besitzen Wortstämme, die einen Hinweis auf die Bedeutung des Zeichens geben. Die Zeichen weisen auch Komponenten auf, die auf den Ton hinweisen. Diese Wortstämme helfen bei der Aneignung der Zeichen, jedoch nicht am Anfang. Wie es bei so vielen Aspekten des Sprachenlernens der Fall ist, stellt eine zu ausführliche Erklärung vorab eine Ablenkung bei der Aneignung der Sprache dar. Ich fand, dass die Anstrengungen der Lehrer, diese Wortstämme und andere Komponenten in einer frühen Lernphase zu erklären, nicht sehr hilfreich waren. Ich habe sie nicht verstanden. Erst nachdem ich mich genug mit den Zeichen beschäftigt habe, habe ich die Komponenten bemerkt. Dies hat bei mir das Lernen der Zeichen beschleunigt.

Der zweite Tipp besagt, sich wirklich stetig und hingebungsvoll zu bemühen, die Zeichen zu lernen.

 

3. Erkenn Muster anstatt Regeln

Konzentrier dich auf Muster. Verhak dich nicht in komplizierte Grammatikerklärungen, konzentrier dich einfach auf Muster. Als ich Chinesisch gelernt habe, benutzte ich ein wunderbares Buch von Harriet Mills und P.S. Ni, Intermediate Reader in Modern Chinese. In jeder Lektion haben sie neue Muster eingeführt und so habe ich mehr oder weniger ein Gefühl dafür bekommen, wie die Sprache funktioniert. Die Muster waren die Rahmen, um die ich das bauen konnte, was ich sagen wollte.

Ich habe überhaupt kein Gefühl für die chinesische Grammatik oder Grammatikbegriffe. Dennoch spreche ich ziemlich fließend Chinesisch. Ich habe Bücher gelesen, die für Chinesisch besondere Grammatikbegriffe anführen. Ich denke nicht, dass sie nötig sind. Ich denke, dass es besser ist, sich an die Muster zu gewöhnen, die die Chinesen verwenden, um Dinge auszudrücken, die wir auf Englisch mit englischen Mustern ausdrücken. Die chinesische Grammatik ist relativ unkompliziert, eine der Freuden, wenn man Chinesisch lernen möchte. Es gibt keine Deklinationen, Konjugationen, Geschlechter, Verbaspekte, komplizierte Zeitformen oder andere Quellen der Verwirrung, die in vielen europäischen Sprachen vorzufinden sind.

Der dritte Tipp lautet, sich auf Muster zu konzentrieren, diese auszuschreiben, sie aufzusagen, sie beim Sprechen oder Schreiben zu verwenden sowie beim Hören und Lesen nach ihnen Ausschau zu halten.

Wenn du gerne ein kostenloses Grammatikmaterial als Ergänzung haben möchtest, empfehle ich das chinesische Grammatikmaterial von LingQ.

 

4. Lies mehr als du verarbeiten kannst

Lies viel! Wenn ich vor 50 Jahren schneller als meine Kommilitonen gelernt habe, lag es daran, dass ich alles gelesen habe, was mir in die Finger kam. Ich habe viel mehr gelesen als andere Schüler. Ich spreche nicht nur von besonderen Texten für Lernende, sondern eher von einem breiten Material zu Themen, die mich interessierten. Mir hat es geholfen, dass der Verein Yale-in-China eine großartige Textbuchreihe mit einem Glossar für jedes Kapitel hatte. Wir begannen mit Lehrmaterial, dem sogenannten Chinese Dialogues, und stiegen dann zu einem Geschichtstext, 20 Lectures on Chinese Culture, auf.

20 Lectures war eine faszinierende Möglichkeit für mich, beim Chinesisch lernen mehr über die chinesische Geschichte und Kultur zu erfahren. Das Buch bestand nur aus Text und einem Glossar, ohne komplizierte Erklärungen oder Quizze. Wenn ich mir einige der Textbücher von heute für Fortgeschrittene ansehe, sind sie voller langweiliger Inhalte über erfundene Leute in China, jemand an der Universität, der seinen Freund trifft oder zum Friseur oder Eislaufen geht, gefolgt von Erklärungen und Übungen. Sie sind nicht sehr ansprechend, es sei denn du interessierst dich für diese Themen.

Ich bin von 20 Lectures on Chinese Culture zu Intermediate Reader in Modern Chinese der Conrell Univesity aufgestiegen. Hierbei handelte es sich um ein Textbuch mit authentischen Texten über die moderne chinesische Politik und Geschichte. Jede Lektion führte Muster ein und hielt Übungen und Erklärungen auf ein Minimum. Oder vielleicht habe ich sie auch einfach nur ignoriert.

Yale hatte eine große Sammlung von Textbüchern über Politik, Geschichte und Literatur mitsamt Wörterlisten für jedes Kapitel. Das war mein Lernmaterial. Aufgrund der Wörterliste pro Kapitel musste ich nicht in einem chinesischen Wörterbuch nachschlagen. Vor dem Erscheinen von Alec Tronic oder Online-Wörterbüchern war es ziemlich zeitaufwendig und mühsam, in einem chinesischen Wörterbuch nachzuschlagen. Da wir die meisten Dinge vergessen, die wir in einem Wörterbuch nachschlagen, war es eine unglaubliche Zeitverschwendung.

Ich habe mit diesen Textbüchern mit den Wörterlisten mein Vokabular aufgebaut und konnte schließlich ein Buch ohne Vokabellisten lesen. Dabei habe ich einfach die Zeichen und Wörter ignoriert, die ich nicht kannte. Nach sieben oder acht Monaten habe ich meinen ersten Roman gelesen, Rickshaw Boy bzw. 骆驼祥子, ein bekannter Roman von Lao She über das heutige Leben in Peking in der turbulenten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der vierte Tipp lautet, so viel zu lesen, wie du kannst. Heutzutage ist das viel einfacher. Du kannst im Internet Material finden sowie Online-Wörterbücher und Apps wie LingQ benutzen.

 

5. Verstehe den Rhythmus der Sprache, um die Töne zu beherrschen

Konzentrier dich aufs Hören. Ich habe versucht, zu allen Texten, die ich gelesen habe, auch das Audio zu hören. Wenn du liest, kannst du Vokabeln lernen, aber das Hören hilft dir, dich mit der Sprache zu verbinden und dich auf das Sprechen vorzubereiten. Das Hörverständnis ist die Kernfähigkeit, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen.

Eine der Herausforderung von Mandarin sind die Töne. Wir lernen mit der Aneignung von Vokabular den Ton jedes Zeichens, aber es ist schwierig, sich beim Sprechen an sie zu erinnern. Es ist wichtig, die Töne als Teil der Ausdrücke zu verinnerlichen. Das Hören hilft dir dabei. Der Tonfall und der Rhythmus von Mandarin oder auch von jeder anderen Sprache kann man nur durch das Zuhören von Muttersprachlern lernen. Du kannst es nicht mit der Theorie lernen.

Mir hat es sehr geholfen, traditionelle chinesische Comicdialoge, Xiang Sheng, 相声, zu hören, um den Rhythmus der Sprache und die Töne zu verstehen, da sie mit einer übertriebenen Betonung sprechen. Heutzutage kannst du diese online finden, einschließlich der Niederschriften, und sie sogar in ein System wie LingQ importieren. Mir stand das vor 50 Jahren nicht zur Verfügung.

Vielmehr gibt es zu allen möglichen Themen ein riesiges Angebot an Hörmaterial, das man herunterladen kann. Solltest du dich in China befinden, kannst du auch CDs kaufen. In unserer modernen Welt kann das Material, das du im Internet findest oder das auf den CDs ist, in herunterladbare Audiodateien umgewandelt werden, die du dann überall dabei haben kannst, sei es auf einem MP3-Player oder auf einem Smartphone. Das regelmäßige Hören, auch nur für eine kurzen Zeitraum von fünf oder zehn Minuten, während du irgendwo wartest, kann die Zeit, die du für das Lernen einer Sprache zur Verfügung hast, einschließlich Mandarin-Chinesisch, erheblich steigern.

Dies stand mir vor 50 Jahren nicht zur Verfügung. Ich musste buchstäblich mit meinen Kopfhörern vor meinem Tonbandgerät sitzen. Die Situation hat sich extrem verändert. Ich musste in Buchläden nach Audioinhalten suchen, die ich auf meinem Tonbandgerät hören konnte. Heute sind dem Material, das du finden kannst, keine Grenzen gesetzt und du kannst überall, wann immer du möchtest dieses Material hören.

Nutz es aus und hör so viel, wie du kannst. Das ist mein 5. Tipp.

 

6. Sprich viel und zweifle nicht an dir

How to Learn Chinese: My Top 6 Tips

Für einen Englischsprachigen ist es nicht schwierig, die einzelnen Töne von Mandarin zu machen. Du wirst viel üben müssen, indem du sowohl mit dir selbst als auch mit anderen sprichst. Versuche, das nachzumachen, was du hörst. Suche Texte, für die es auch Audio gibt. Hör einen Ausdruck oder einen Satz und versuch dann, die Betonung nachzumachen, ohne dabei zu sehr über die individuellen Töne nachzudenken. Du kannst dich sogar aufnehmen, um die verschiedenen Aufnahmen zu vergleichen. Wenn du es schaffst, dich mit dem Rhythmus der Sprache zu “infizieren”, wird sich nicht nur deine Kontrolle der Töne verbessern, sondern die Wahl deiner Wörter wird auch die eines Muttersprachlers ähneln.

Wenn du sprichst, zweifle bezüglich der Töne oder anderer Aspekte der Sprache nicht an dir. Lass die Wörter und Ausdrücke, die du gehört und geübt hast, einfach heraus, mitsamt den Fehlern und alles, was dazugehört. Jedes Mal, wenn du die Sprache verwendest, übst du und gewöhnst dich an sie. Wenn du Spaß daran hast, auf Chinesisch zu interagieren, in Fahrt zu kommen und zum Rhythmus zu singen, dann wird sich dein Mandarin stetig verbessern.

Mach dir am Anfang keine Gedanken darüber, die Betonung zu beherrschen. Wir können nicht das betonen, was wir nicht hören, und auch keine Töne und Tonfälle nachmachen, mit denen wir nicht im Einklang sind. Um die Fähigkeit, die Sprache zu verstehen, auszubauen und die Musik der Sprache zu fühlen, müssen wir einfach hunderte oder sogar tausende Stunden chinesisches Material hören und es dem Gehirn ermöglichen, sich an die neue Sprache zu gewöhnen. Hab es nicht zu eilig mit diesem Prozess. Stattdessen solltest du darin vertrauen, dass du allmählich und auf natürliche Weise besser wirst. Unabhängig von deinem Niveau im Mandarin, sprich einfach ohne Angst und vertrau deinen Instinkten. Wenn du deine Lese- und Höraktivitäten fortsetzt und weiterhin sprichst, werden sich deine Sprechfertigkeiten auf natürliche Weise verbessern.

Hier kannst du mehr darüber lesen: Der beste Weg, eine Sprache zu lernen

Mein sechster und somit letzter Tipp besagt, dass du es einfach versuchen sollst, und du dann von ganz alleine den Rhythmus verstehst.

Viel Spaß!